KANU RENNSPORT: Neues Leben, alte Leidenschaft!
Saman Soltani lebt in Österreich, weil sie in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten musste. Und die Iranerin träumt groß: nämlich vom größten Sportereignis der Welt – den Olympischen Spielen. Als Teil des IOC-Refugee-Teams wäre sie für Paris 2024 startberechtigt, die Vorbereitung bestreitet sie als Teil des österreichischen Nationalteams. Der alles entscheidende Olympic Qualifier geht Ende Juni in Budapest (UNG) über die Bühne. Bis dahin wird Soltani ihren Weg konsequent weitergehen.
In einem ausführlichen Interview spricht die passionierte Sportlerin über ihren Weg, ihre Träume und einen emotionalen Moment im Trainingslager in Belek.
Dein Weg hat dich vom Iran zur Alten Donau geführt. Der Sport hat dich bislang immer begleitet. Erzähl uns von deinen Anfängen?
Saman Soltani: Ich war schon immer sportbegeistert. Im Alter von sechs Jahren habe ich mit dem Schwimmen begonnen, zwei Jahre später mit dem Synchronschwimmen – und da bin ich bis zu meinem 25. Lebensjahr dabeigeblieben. Weil ich als Frau im Iran nicht ohne Hijab an internationalen Wettkämpfen teilnehmen durfte, habe ich mich parallel auf die Suche nach einer Sportart begeben, in der ich beim Wettkampf Hijab tragen konnte. So bin ich im Alter von 18 Jahren beim Kanu-Sport gelandet!
Und du warst im Synchronschwimmen und im Kanu-Sport richtig erfolgreich. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?
Soltani: Ich habe 20 Jahre lang Staatsmeistertitel gewonnen, aber ich wollte mich auf der internationalen Bühne präsentieren und mich auf dem höchsten Niveau messen. Rückblickend war das sicher der Grund, weshalb ich im Kanu gelandet bin – hier war es mir möglich, mich mit den besten der Welt zu messen. Und das habe ich auch getan.
Die meisten Kanut:innen beginnen schon viel früher mit dem Sport, musstest du viel aufholen?
Soltani: Stimmt! Mir haben damals alle gesagt, dass es schon viel zu spät sei, um mit dieser Sportart zu beginnen. Aber ich wollte nicht darauf hören. Ein Jahr nachdem ich mit dem Sport begonnen habe, war ich Staatsmeisterin. 2018 gewann ich eine Silbermedaille bei den Asien-Meisterschaften in Uzbekistan. Ich habe meine ersten Ziele schnell erreicht, aber mein Hunger war noch immer nicht gestillt.
Was waren die nächsten Ziele?
Soltani: Die Olympischen Spiele! Das war insgeheim schon immer mein Ziel. Aber ich habe im Iran keine Chance darauf gesehen, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb habe ich meine Prioritäten verschoben und begann, junge Synchronschwimm-Talente zu trainieren. Ich wollte ihnen aber mehr als nur den Sport mit auf den Weg geben, sondern ihnen helfen, so selbständig wie möglich zu sein.
Aber auch deine sportliche Reise war noch nicht beendet, oder?
Soltani: Nein, ich konnte mich nicht vom Sport losreißen und war weiterhin kompetitiv aktiv und habe regelmäßig an Bewerben teilgenommen. Aber dann kam Barcelona.
Du sprichst es an: Nach einem Wettkampf in Spanien hat dich ein Anruf von deinen Eltern erreicht. Worum ging es?
Soltani: Ich kann mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen. Meine Eltern haben mich panisch angerufen und mir gesagt, dass ich nicht zurück in den Iran kehren soll. Zuerst dachte ich, dass es ein Scherz sei. Als sie zu weinen begonnen hatten, wusste ich, dass ich sie für eine lange Zeit nicht wieder sehen würde. Zu dieser Zeit wurden im Iran viele Frauen getötet, darunter zwei meiner ehemaligen Teamkolleginnen – für mich war klar: dorthin kann ich nicht zurückkehren.
Und wie ist es dann weiter gegangen?
Soltani: Ich habe die einzige Person kontaktiert, die ich in Europa kannte – meinen Freund Uwe – und bat ihn, mir Unterschlupf bei sich zuhause zu gewähren. Am 27. August 2022 kam ich also mit nichts als einem Koffer in Wien an, in einer fremden Stadt, auf einem fremden Kontinent.
Du hast also in Österreich ein neues Leben begonnen …
Soltani: Ja stimmt. Aber einen wichtigen Teil meines alten Lebens wollte ich nicht aufgeben – den Sport!
Wie hast du in Sport-Österreich wieder Fuß gefasst?
Soltani: Eines Tages saß ich an der Donau, beobachtete die österreichischen Kanutinnen und Kanuten beim Training und dachte über alles nach, was schiefgelaufen war. In diesem Moment habe ich mich dazu entschlossen, dass ich mich wieder aufraffen musste, um ein gutes Beispiel für Menschen in schwierigen Zeiten sein muss. Und dann habe ich mich an mein ursprüngliches Ziel erinnert: Die Olympischen Spiele.
Und die Entscheidung war goldrichtig?
Soltani: Ja, das war sie! Ich habe wieder mit dem Kanusport begonnen, und sechs Monate später war ich österreichische Meisterin über 1.000m und fix im Österreichischen Kanuverband verankert. Ich liebe diesen Sport und bin dem OKV auf Ewig dankbar, dass mir die Möglichkeit geboten wurde – gemeinsam mit dem österreichischen Nationalteam – meinem Traum von Olympia nachzujagen.
Wie wichtig war die Unterstützung vom Verband und dem Österreichischen Olympischen Comité in dieser Zeit?
Soltani: Immens wichtig. Der OKV hat mir ein sportliches Zuhause gegeben, meine Trainer und Teamkolleginnen und -kollegen haben mir immer gut zugesprochen und gaben mir Halt. Auch auf OKV-Präsident Günther Briedl war immer Verlass. Und das ÖOC hat mir wieder Hoffnung gegeben. Christoph Sieber (Anm.: Leiter Sport im ÖOC) hat Kontakt mit mir aufgenommen und sich seither für mich eingesetzt. Dafür werde ich immer dankbar sein.
In weiterer Folge wurdest du vom Internationalen Olympischen Komitee in das IOC-Refugee-Team aufgenommen. Wie viel bedeutet dir das?
Soltani: Ich bin einfach nur glücklich – endlich darf ich wieder international antreten. Und ich trainiere jetzt härter, denn je für meinen Traum. Ich hoffe, dass ich bereits 2024 in Paris dabei sein kann. Spätestens bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles möchte ich zu den Medaillenkandidatinnen gehören – am liebsten für Österreich!
Stichwort Training: du bist momentan mit dem rot-weiß-roten Team im türkischen Belek auf Trainingslager. Erzähl uns davon
Soltani: Ich bin so dankbar, dabei sein zu können. Diese Leute sind wie meine Familie! Aber in Belek habe ich nicht nur trainiert. Nach eineinhalb Jahren habe ich hier meine biologische Familie wieder getroffen. Das war ein emotionaler Moment für mich. Mein Vater hat mich dort zum ersten Mal trainieren gesehen und gesagt, dass es der schönste Moment in seinem Leben gewesen sei. Das macht mich stolz und zugleich demütig!
Foto: J. Knoth